AN
SEINER SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT SOLLT IHR SIE ERKENNEN
Über Design und Styling und das, was beide unterscheidet.
Von Rolf Fehlbaum
Design, die neue Disziplin dieses Jahrhunderts, die ausgezogen ist,
die Warenwelt zu zivilisieren, droht am eigenen Erfolg zu scheitern.
Design wollte mit dem Nippes aufräumen und Qualität für alle schaffen.
Der Gegner war klar: der Produzent des Unnötigen, des Unehrlichen,
des Prätentiösen. In dieser Absicht sind im Laufe der Jahrhunderte
Ikonen der Moderne entstanden, vor allem im Bereich der Möbel: die
abstrakten Konstruktionen von Rietveld, die Stahlrohrmöbel von Stam,
Breuer und Mies van der Rohe, Le Corbusiers und Charlotte Perriands
Liege, die Sessel von Aalto, die Tische von Prouvè, die Nachkriegsentwürfe
von Charles und Ray Eames, von Eero Saarinen und Bertoia, der Vollkunst-stoffstuhl
von Verner Panton. Auch bei den Geräten haben Designer Zeichen gesetzt:
etwa Dieter Rams bei Braun. Es gibt andere hervorragende Beispiele
und Tausende von weniger spektakulären, aber in der Breitenwirkung
wichtigen Beiträgen.
Im Kampf mit dem Beliebigen, Verlogenen und Ungestalteten scheint
sich Design durchgesetzt zu haben und trotzdem befindet sich diese
Disziplin in der Krise. Sie ist, um es dramatisch auszudrücken, unterwandert.
Der Gegner segelt unter gleicher Flagge.
Wer Designer-Brillen, Designer-Jeans, Designer-Möbel, Designer-Tassen
anbietet, bedient sich des Design-Begriffs, betreibt aber in Wirklichkeit
Styling. Was will das Styling? Styling will Differenzierung, weil
sich nur im Anderssein Geld verdienen läßt. Im Gegensatz zum guten
Design basiert Styling aber fast immer auf einer Illusion. Es ist
Neuheit ohne Innovation. Es bietet einen Oberflächenreiz, der schnell
verbraucht ist. Unter der Diktatur der Signatur verschwinden die
anonymen
Produkte, die Resultate einer langen Orientierungsarbeit waren.
Sie werden ersetzt durch das Laute, Schrille, Ðbertrie-bene, das
auffällt
und nach kurzer Zeit hoffnungslos datiert aussieht (und folglich
zum Kauf der näch-sten Generation von zickigen Produkten provoziert
und so weiter).
Das gute Design hat einen anderen Ausgangspunkt. Es leitet sich aus
einer Haltung ab, ist also eine Mischung aus Ethik (des Designers
und des Herstellers) und Ästhetik. Es entsteht im Laufe eines meist
langwierigen Problemlösungsprozesses, in dessen Verlauf viele Versuche
gemacht werden, bis ein ausgewogenes Ergebnis erarbeitet ist. Neben
den ästhetischen Anforderungen fließt eine Vielzahl von funktionellen,
ergonomischen, ökologischen und anderen Erwägungen ein. Der Designer
ist dafür verantwortlich, daß die vielen Entscheidungen, die
im Laufe der Design-Arbeit getroffen werden, konsistent sind und
am Schluß
zu einem auch ästhetisch erfreulichen Resultat führen. In diesem
Sinn ist die Nennung des Designers sinnvoll. Zusammen mit dem Hersteller
steht er persönlich für ein Produkt ein.
Sind Produkte, die in Zusammenarbeit mit Designers und designorientierten
Unternehmen entstehen, teurer als die anderen? Bei den gestylten
Designer-Produkten
gilt das in jedem Fall: Hier wird eine Prämie für die Nutzung eines
Namens und die Auffälligkeit bezahlt. Ganz anders bei Produkten,
die im Geiste des guten Designs entstanden sind.
Dieser Design-Prozeß ist kostenneutral. Es können daraus - je nach
Anforderung - teure oder billige Produkte entstehen. Sie sind aber
fast immer wertvoller als Produkte, die nicht durch diesen Prozeß
gegangen sind. Sie sind langlebiger, sie funktionieren besser, sie
senden bessere Botschaften. Was heißt das?
Es heißt, daß jedes Produkt, das uns umgibt, jeder Raum, jedes Gebäude
ein Sender ist, dem wir pausenlos ausgesetzt sind. Wenn diese Botschaften
konfus sind, werden wir selbst verwirrt. Wenn sie gleichgültig sind,
macht ihre Monotonie uns müde. Die Gegenstände und Räume können
aber auch stimulieren, uns positiv einstimmen und motivieren. Deshalb
ist
gutes Design - ganz unabhängig vom praktischen Nutzen - so wichtig.
Die ethische Forderung des Designs lautet also: an der Verbesserung
der Warenwelt arbeiten. Ob es immer gelingt, eine neuere und bessere
Problemlösung zu finden, ist nicht sicher. Der Wunsch ist aber immer
da. Woran erkennt man also gutes Design? Zunächst an seiner Zurückhaltung,
an seiner Selbstverständlichkeit, an seiner Ausgewogenheit, an seinem
guten Dienst. Reicht das? Ja, aber großes Design be-deutet noch mehr.
In bestimmten Konstellationen kann Design epochale Ideen ausdrücken.
Die Ikonen der Moderne gehören zu dieser Kategorie. Für sie gelten
die gleichen Kriterien wie für die Kunst. Sie sind vielschichtig
und immer neu lesbar, sie betreten Neuland, sie sind Manifestationen
eines
Wandels des Weltbildes. Ihre ganze Bedeutung wird oft erst viele
Jahre später klar.
Auch wenn diese Höchstleistungen des Designs mit den gleichen Kriterien
wie die Kunst beurteilt werden können, sind sie nicht mit der Absicht
entstanden, Kunst zu produzieren. Sie sind Kunst geworden, sozusagen
im nachhinein. Design war immer am stärksten wenn es sich mit Reformgedanken
verbündete. Vielleicht kann es im Zuge der sich noch vage abzeichnenden
zweiten Moderne die Rolle spielen, die es sich in der ersten Moderne
vorgenommen hatte: die Warenwelt zu zivilisieren und damit auch die
Unternehmen und die Ökonomie.
Deutschland ist durch Werkbund, Bauhaus und Ulmer Schule und das
stark ausgeprägte ökologische Bewußtsein eine gute Basis für die
Renaissance des Designs.
Artikel FAZ vom 07.04.1998
|
|